Pädagogischer Leistungsbegriff

Erstens dürfen gesellschaftstypische Leistungselemente wie Ergebnis-, Konkurrenz- und Auslese, Macht- und Anpassungsorientierung nicht unbesehen von der Schule übernommen werden, wenn Kinder im Prozess der freien Persönlichkeitsentfaltung zu Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein ermuntert werden sollen.
Zweitens soll der unaufhebbare Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen und der pädagogischen Funktion von Schule so oft wie möglich zu Gunsten der pädagogischen entschieden werden. Leistungsanforderungen sollen unter dem Gesichtspunkt der Befähigung zur Selbständigkeit und Selbstbestimmung betrachtet werden.

Leistung bedeutet demnach nicht nur Kraft mal Weg durch Zeit, sondern (Kurzfassung):

1. Leistung ist norm- und zweckbezogen.

Zunächst ist es notwendig, Leistung zu definieren, denn es gibt keine Leistung als solche. Dazu ist das entsprechende Verhalten an einer Norm zu orientieren. Die Norm bezieht sich auf die allgemeinen Grundwerte einer demokratischen Schule, wie in den Grundsätzen der Erziehung (Artikel 7, Absatz 2) der Landesverfassung NRW 1950 festgelegt worden ist. Damit liegt die allgemeine Zielsetzung der Schule in der Erziehung zur Mündigkeit. Darüber hinaus ist das ‘warum’ und ‘wofür’ einer Leistung zu klären (Sinngehalt von Leistungsanforderungen) . Es kann nicht darum gehen, dass der Schüler Beliebiges unter maximalem Anreiz tut und einfach nur das Strandgut einer unkritisch weitergeschleppten Schultradition aufnimmt.  Es soll zu einem Ausgleich zwischen fremdbestimmten und selbstbestimmten, zwischen sachlich und pädagogisch begründeten Leistungen kommen. Leistungen zum Zweck der Anpassung oder gar Unterordnung abzuverlangen, widerspräche eklatant den Wertprinzipien einer demokratischen Schule und Ausbildungsstätte. 

2. Leistung ist anlage und umweltbedingt.

Man kann von zwei Faktorenbündeln sprechen, die sich beide vielfältig weiter unterteilen lassen. "Schulorganisation und Didaktik werden sich nicht von der Vorstellung präformierter Begabungskonstanten ausgehen, sondern sich daran orientieren, wie Begabungen entwickelt, gefördert und angeleitet werden" (Roth 1969, S. 6). Im Zentrum steht, wie sich jeder Lernende unter dem gezielten Einsatz von methodisch-didaktisch sachangemessen aufbereiteten Lern- und Fördermöglichkeiten - dazu gehören auch entsprechende Leistungsanforderungen - sich selbst voranbringen kann. Förderung umfasst heute neben der Entwicklung kognitiver ebenso praktische, künstlerische, soziale, moralische und politische Fähigkeiten.

3. Leistung ist produkt- und prozessorientiert

Unterricht und Leistungskontrollen sind von vornherein auf das Lernergebnis ausgerichtet; dabei gerät der Prozess der Aneignung aus dem Blick. Insbesondere während der Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand vollbringen die Schülerinnen und Schüler unter großer Anstrengung eine große Leistung; nur ist deren Überprüfung schwieriger als die Ergebniskontrolle. Heute sollte aber die Einengung auf die Produktkomponente überwunden werden zugunsten der Prozesskomponente, die die Dynamik des Zustandekommens schulischer Leistungen umfasst. Dies kann sich auf den Vollzug von Kommunikation im Unterricht beziehen, der Entwicklung einer Kritik, den Vorgang einer naturwissenschaftlichen oder mathematischen Problemlösung.

4. Leistung ist individuelles und soziales Lernen

Leistung wird häufig verengt verstanden als Ausdruck einer Fähigkeit einer Schülerin, welche unabhängig vom sozialen Kontext in überwiegend konkurrenzorientierten Situationen erbracht wird. Statt um den Nachweis von Wissen und Können geht es in erster Linie um das Erlernen der Fähigkeit, Wissen und Können selbständig und eigenverantwortlich in sozialen, emotionalen und kognitiven Handlungs- und Lernvollzügen anzuwenden und weiterzuentwickeln. Die Bewertung sollte sich darüber hinaus auch auf den individuellen Fortschritt des Schülers beziehen, in einer reinen Konkurrenzsituation blieben soziokulturell benachteiligte Schüler weiterhin unterlegen. Geeignete Sozialformen müssen sich auf das Spannungsfeld von individueller und in Kooperation erbrachter Leistung einstellen. Dies wird durch Verfahren wie Freiarbeit, Wochenplanunterricht oder Projektunterricht ermöglicht. Dabei geht es nicht um die Frage, was jeder für sich allein, sondern was jeder in Kooperation und Solidarität mit anderen zu leisten imstande ist.

5. Leistung ist problemmotiviertes und vielfältiges Lernen

Handlungsorientierter Unterricht geht von einem mehrdimensionalen Lernbegriff aus, der insbesondere die Ganzheitlichkeit des Lernens betont, d.h. vielseitig kulturell und anthropologisch ausgerichtet ist. Eigentätigkeit als intensivste Form des Lernens, spricht alle Sinne an und ist kognitiv und emotional. Es bildet sich eine materielle Grundlage der Erkenntnistätigkeit. Es geht nicht um die Alternative Kopf- oder Handarbeit, sondern in ihrer Verknüpfung liegt die Lösung, um die "Verkopfung" schulischer Lernprozesse in Grenzen zu halten. "Im Prozess der sinnlich-handelnden Aneignung von Realitätsbezügen integrieren sich Kopf- und Handarbeit in dynamischer Wechselwirkung". Es geht um schöpferische Tätigkeit, nicht bloß um Wissensvermittlung. Die Vermittlung von Konflikt- und Kritikfähigkeit gehört zur zukunftsorientierten Schlüsselfunktion der Schule für die Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben sowie der stark veränderten Tätigkeits- und Berufsstrukturen. Schule muss Orientierungswissen vermitteln, da die diesbezüglichen Angebote der Gesellschaft diffuser geworden sind. Ist der Schüler mitverantwortlich für seine Arbeit, wird er diese mit Sinn besetzen. Der Leistungsbegriff muss dazu vielfältiges, ganzheitliches Lernen nicht nur zulassen, sondern fördern. Dieser korrespondiert mit einer sach- und problemorientierten Leistungsmotiviation. Die Auswahl der Lernziele und Lerninhalte im Curriculum sind auf das Ziel der intrinsischen Selbstmotivierung und Selbstbekräftigung, das freiwillige Leistenwollen auszurichten.

6. Leistung ist gekonntes und anstrengendes Lernen

Kinder und auch Erwachsene wollen "zur Leistung angespornt und für sein Tun gewürdigt werden". Um auch Misserfolg zu ertragen, ist es notwendig, zunächst positive Erfahrungszusammenhänge zwischen Lern und Leistungsanstrengungen auf der einen Seite und entsprechenden Erfolgen auf der anderen Seite machen zu können. Um Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu erlangen, sollten differenzierte Lernangebote gemacht werden.

Die Reproduktion von Wissen ist durch andere Aspekte von Leistung entscheidend zu relativieren. In der Entwicklung von Curricula muss darauf geachtet werden, die für jeden Lernbereich maßgebende Leistungsstruktur zu bestimmen und die Ziele aufeinander zu beziehen, um sie in konkrete Unterrichtsziele unter dem Leitbegriff der Mündigkeit zu übersetzen. Es ist jeweils zu klären, wie sich die Lernzielstruktur innerhalb der Unterrichtseinheit abbildet, an welchen Stellen Verknüpfungen zwischen fachlichen und allgemeinen Zielsetzungen möglich sind und wie die Lernleistungen und/oder die Entwicklung allgemeiner Fähigkeiten diagnostiziert werden können bzw. sollen.

Fazit: Leistung bedeutet:
  • Erfüllung der Anforderungen und Normen
    • unter Berücksichtigung des Zeitfaktors (Zeittakt/Prozess) und
    • anhand des Ergebnisses

 

(n. Jürgens 1997, S. 22 ff. / Jürgens 1995, S. 11/12; Kron 1994, S. 320)

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