Entwicklung (n. Piaget)
Entwicklung von Strukturen
Entstehung: Aus logischen Strukturen werden Handlungen/Operationen
aufgebaut. Operationen sind nach innen verlegtes Handeln. Denken und Erkennen
sind gleichursprünglich. Logisches Denken/Erkennen entsteht
im Handeln, in Transformationen. Wichtig: Beziehung Mensch-Welt. Beispiel:
Kieselsteine in verschiedenen Richtungen zählen: immer kommt man zur
gleichen Zahl: Entdecken des Kommutativgesetzes (Vertauschbarkeit) in der
Mathematik!
Definition 'Struktur': Allg. Form, das Aufeinanderbezogensein
der Elemente in einer Ganzheit. Umfasst Transformation und Selbstregelung.
Unterliegt Gesetzmäßigkeiten. Strukturen begründen Wahrnehmung,
Interpretation und Sinngebung.
Alles Leben unterliegt der Organisation und der Anpassung.
Anpassung (Adaptation)
Ein reines Reiz-Reaktions-Schema ist als Verhaltensformel
nicht hinreichend. Der Organismus muss für den Reiz zuvor die entsprechende
Reaktionskompetenz besitzen. Das reagierende Objekt muss eine Struktur
besitzen, der dieser Stimulus assimiliert ist. Die Weiterentwicklung der
Struktur zur Assimilation nennt Piaget Akkomodation.
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Assimilation, d.h. Aufnehmen von Umweltdaten, z.B. Sgl.: Angebot
von Muttermilch. Pflanzen.
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Akkomodation, d.h. Veränderung der Struktur. Änderung
des Assimilationsplans. Beispiel: Saugverhalten wird auf Mutterbrust
umgestellt. Es kommt es zur
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Äquilibration, d.h. dem Prozess
des Ausgleichs zwischen Assimilation und Akkomodation
Am Beispiel Trinken: bis die Muttermilch zur Ernährung nicht mehr
ausreicht und andere Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung
bzw. Ersatzobjekte gefunden werden
Überwiegt die Assimilation --> Objekte werden nur in Träumen/in der Phantasie aufgenommen
Überwiegt die Akkomodation --> Nur Nachahmung, d.h. neue Strukturen
ohne neue Elemente
Assimilation: Chlorophyll als Einverleibung
von Strahlungsenergie in den Stoffwechsel / Dissimilation (Biolog.)
Entwicklungsstadien:
Voraussetzungen
Die Strukturen des Subjekts werden in einem schrittweisen Prozess aufgebaut:
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konstante Reihenfolge
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progressive Konstruktion, ohne totale Präformation
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nicht neue Inhalte auf der nächsten Stufe, sondern neues Niveau des
Lernvermögens:
Die 10 Kieselsteine haben nicht von sich aus diese Eigenschaft, sondern
damit die Zahl 10 zu symbolisieren, ist bereits eine eigene Leistung!
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in Schüben wird die jeweils vorangegangene Stufe entwertet.
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Übergang von Weltbildern: Der Heranwachsende erwirbt den Zugang zur
äußeren und internen Welt durch Konstruktion des Universums der
Objekte und des inneren Universums
Erlernen der Dezentrierung
Vgl. Habermas
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In Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt und Subjekt und anderen Subjekten
werden Gegenstände anders wahrgenommen und Beziehungen normativ geregelt.
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Die innere Welt wird von der äußeren der Objekte und der sozialen
Beziehungen unterschieden
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Kenntnis der Subjekte durch Erkennen der eigenen Subjektivität
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Reflektieren von Normativem, Objektivem und Subjektivem
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Ermöglichung intersubjektiver Verständigung
(vgl. Habermas 1995 I, S. 105 ff)
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Jede objektive Erkenntnis setzt einen systematischen Dezentrierungsprozess
voraus: Denken ist erforderlich, um sich von einem Haus die Rückseite
vorzustellen, wenn man es von vorn betrachtet. Dazu muss man sich den Blickwinkel
anderer Subjekte oder von Objekten vorstellen. Bedingung für Objektivität
Egozentrismus und Sozialisation sind dazu nicht ausreichend.
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Für die kommunikative Rationalität ist das dezentrierte Weltverständnis
erforderlich, es ermöglicht die diskursive Einlösung kritisierbarer
Geltungsansprüche.
Kognitive Entwicklungsstadien
(n. Piaget):
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Sensomotorisch:
0 - 2
J.
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präoperativ:
2 - 7
J.
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Stadium der konkreten Operationen:
7
- 11 J.
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Stadium der formalen Operationen ab 11 J.
Merkmale der Stadien im Einzelnen:
Beispiel: Substanzerhaltung
Gewichts- und Volumeneinschätzung, wenn ein Stück Zucker
in Wasser aufgelöst wird:
1./2. Atomismus. Zuckerwürfel ist weg,
Geschmack ist weg.
3. unsichtbare Körner,
kein Gewicht/kein Volumen
dann Gewicht erhalten!
4. Volumen gleich!
Erfahrungen durch Handeln in den entsprechenden Entwicklungsstufen.
Lernen (strukturgenetischer
Ansatz)
Wissensprozesse;
Adaptation;
Organisationslernen;
Lernen
(system-funktional, n. Parsons)
Erkenntnis ist Lernen durch Erfahrung. "Lernen ist also nichts anderes
als ein Abschnitt in der kognitiven Entwicklung, der durch Erfahrung gebahnt
oder vorangetrieben wird" (Piaget 1983, S. 48). Es kommen Beiträge
von außen, die die Veränderung der Strukturen ermöglichen.
Logik ist zum Organisieren von Handlungen und zur Wahrnehmung erforderlich
(vgl. Scheinwerfertheorie von Parsons).
Aus dem "Mittelpunkt des Universums", in der Innenwelt gleich Außenwelt
ist, erfährt der Säugling andere Körper. Durch Handeln
lernt er, die anderen Objekte wahrzunehmen (n. Piaget).
Belege:
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Lernen durch äußere Bekräftigung ist instabiler als durch
eigene Erfahrung.
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Erfahrung setzt das Erkennen von Prinzipien voraus, z.B. Gewichts-/Volumenerhaltung
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Zuckerwürfel
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verschieden geformte Tonklumpen
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Wasser in verschieden geformten Gefäßen:
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präoperativ: schwankende Einschätzungen
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operativ: meist richtige Einschätzung und schnelleres Lernen / besseres
Behalten
Intelligenz
Wissen
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operativ (Transformation der Wirklichkeit)
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figurativ (Repräsentation der Wirklichkeit):
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direkte Anzeichen (die Stimme für eine Person)
--> Wahrnehmung / Nachahmung
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Symbole (ein Stein für Brot) --> innere Vorstellungsbilder
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Zeichen (abstrakt; Buchstabe/Wort)
--> Schriftsprache
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Sprache und Wahrnehmung/Semiotik:
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Semantik
-
Syntax
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Pragmatik
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Sprache dient der Entwicklung von Operationen (als Instrument)
Entwicklungsfaktoren
beschleunigen den Ablauf der Stadien. Bezug zur Biologie (Phänotyp
/ Genotyp / Umwelteinflüsse / Selbstregulation)::
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Reifung (erschließt neue Möglichkeiten)
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Erfahrungen
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Übung (Nachahmung und neue Elemente)
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dingliche Erfahrung (Gewicht von sonstigen Eigenschaften abstrahieren)
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log.-math. (Steine sortieren)
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Wirkung der sozialen Umwelt
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Äquilibration (Selbstregulation):
Gleichgewicht erfordert Handlungskoordination zwischen Menschen, ebenso
wie intraindividuelle Koordination. Erfolgt in jedem Stadium der Entwicklung.
Verbindung zur Soziologie:
Sozialer Zwang führt zu Soziozentrismus, der dem Egozentrismus
verwandt ist. Erst der Kognitionsprozess der Dezentrierung erlaubt es,
subjektive Täuschungen zu überwinden. Die sozialen/interpersonalen
Konsequenzen hat Habermas bearbeitet.
Lernen (system-funktional,
n. Parsons)
siehe unten: Lernen (Grundmodelle)
Mechanismus der Persönlichkeit (neben Abwehr z.B.). Prozess der
Aneignung neuer Elemente der Handlungsorientierung durch einen Aktor:
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neue kognitive Orientierung
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neue Werte
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neue Objekte
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neue expressive Interessen
Lebenslanger Prozess (in der Kindheit besonders stürmisch). Adaptation
an veränderte Situationen oder Entfaltung eines vorhandenen dynamischen
Musters.
Spielkategorien
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Übungsspiele (keine neuen Strukturen, aber funktional)
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Symbolspiele ( Steine und Sand als Mahlzeiten)
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Regelspiele, mit mind. 2 Personen (abstrakt, z.B. Schach)
Argumente gegen Kritiker
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zu Empiristen: Reiz-Reaktions-Schema stimmt nicht:
es muss schon eine Bereitschaft vorliegen, einen Reiz aufzunehmen!
Sachverhalte lassen sich ohne Verständnis nicht oder wesentlich
schlechter behalten (Piaget 1983, S. 48). Denkstrukturen sind nötig.
Empirische Ergebnisse widerlegen die Empiristen!
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zu Chomsky: Transformationsgrammatik nicht angeboren!
Sozialisation:
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Begründung durch E. Durkheim 1902/03
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Strukturmodell (n. Geulen/Hurrelmann 1982):
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Individuum: Organismus-Persönlichkeit
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Interaktionsebene/Institutionsebene: Umgebung Kleingruppen/Sozialisationsinstanzen
(Schulen etc.) - soziale Organisationen
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Gesellschaft
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Definitionen:
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Einwirkung der Gesellschaft auf das Individuum
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soziokulturelle Entwicklungen von Individuen und Gruppen
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Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Werten
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Ansätze (s. Kron 1994, S. 154-171)
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verhaltenstheoret. Ansatz
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rollen- und systemtheoretischer Ansatz (Parsons/Freud; Kritik
Habermas)
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tiefenpsychologischer Ansatz (Freud)
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interaktionistischer Ansatz (Mead, Blumer, Erikson)
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Strukturgenetischer Ansatz (Piaget):
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Basis: Die soziale Handlung.
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Im Unterschied zum system-funktionalistischen Ansatz und zum interaktionistischen
Ansatz kommt es Piaget auf die Entwicklung der Strukturgenese des Individuums
und deren Bedingungen an. Scharfe Abgrenzung zum behavioristischen Ansatz.
Lernen/Grundmodelle
Vgl. Positives
Lernen/Lernebenen;
Entwicklungsabschnitte
(n.
Fröhlich/Drever 1983):
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Säuglingsalter (0-1)
-
Kindesalter (1-12)
-
frühe Kindheit (1-6)
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mittlere (6.-10)
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späte Kindheit (10-12)
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Jugendalter (12-21)
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Vorpubertät
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Pubertät
-
Nachpubertät
-
Erwachsenenalter (21-65)
-
Alter
Quellen:
- Piaget, J.: Meine Theorie der geistigen Entwicklung. Frankfurt (M.)
1983
- Kron, F. W.: Grundwissen Pädagogik. München/Basel 1994
© Claus-Henning Ammann 2002, www.multimedia-pflege.de