Bedeutung und Funktion des Organisationslernens für die betriebliche Bildung.

Kurzfassung


Vorab möchte ich mein Verständnis der zentralen Begriffe dieses Themas erläutern (1). Nach Skizzierung unterschiedlicher Formen der Arbeitsorganisation (2) mache ich die wesentlichen Kennzeichen des Organisationslernens deutlich (3), aus dem sich schließlich Bedeutung und Funktion für die betriebliche Bildung ergeben (4).

1. Zentrale Begriffe

Organisation als soziales System

Eine Organisation ist als System von Kooperationsbeziehungen zu verstehen. Ihr Ziel ist die gemeinsame Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen, die als Einheit im Austauschprozess mit der Umwelt dienen. Die Zusammenarbeit zwischen Individuen und Gruppen ist das tragende Prinzip einer Organisation. Für wirtschaftlich tätige Organisationen steht die Zweckmäßigkeit und damit das instrumentelle Handeln im Mittelpunkt. Ein Unternehmen ist dementsprechend eine Organisation mit ökonomischer Ausrichtung. Es kann aus mehreren Betrieben bestehen, d.h. für sich funktionsfähigen Untereinheiten. Es geht im Zusammenhang mit dem gegebenen Thema nicht um Verbände (Berufs-/Unternehmerverbände) und deren Einrichtungen, sowie die staatlichen Institutionen.

Organisationen gehören zum sozialen System, das sich von Organismus und Persönlichkeitssystem auf der einen und dem kulturellem System auf der anderen Seite abgrenzen lässt (n. Parsons). Den Begriff Persönlichkeit verwende ich deckungsgleich mit Individuum. Ein soziales System wird  dadurch konstituiert, dass bereits zwischen zwei individuellen Akteuren das Problem der doppelten Kontingenz auftritt: Jeder hat die Wahl zwischen mehreren Handlungsalternativen, die ihm zur Verfügung stehen. Um sich in einer Situation abzustimmen, wenn z.B. beide gleichzeitig Anspruch auf dasselbe Gut erheben, müssen sie sich auf Kommunikationsregeln (Sprache) beziehen. Sprachliche Zeichen sind nicht von der Natur vorgegeben, und deren Regeln gelten unabhängig vom Einverständnis der beiden Akteure. Sie sind Bestandteil der kulturellen Tradition.

Lernen

Lernen bedeutet ganz allgemein Veränderung. Es geht sowohl um die Verhaltensänderung auf Grund eines Reizes (Stimulus-Response-Schema), die Fähigkeit zur Übertragung dieses Effektes auf ähnliche Situationen, als auch um die Adaptation, d.h. das Gleichgewicht zwischen der Aufnahme und Verarbeitung von Reizen und der Entwicklung neuer Strukturen (Assimilation/Akkomodation). Den  letztgenannten strukturgenetischen Ansatz des Lernens lege ich im Folgenden zugrunde. Es geht um um die Erkenntnisgewinnung im Lernen durch Erfahrung sowie durch intentionales Lernen.

Organisationslernen

Im Begriff des Organisationslernens sind die Vorstellungen von Organisation und Lernen verbunden. Organisationslernen stellt sich aus der Sicht des Einzelnen so dar, dass alle an der Organisation beteiligten Personen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit lernen. Sie finden in ihrer Organisation die dazu notwendigen Strukturen vor, entwickeln diese bzw. bauen sie neu auf. Aus Sicht der Organisation als soziales System wird das von den Gründern aufgebaute Regelwerk durch die Mitwirkung der Mitarbeiter weiterentwickelt. Die überindividuellen Mechanismen ermöglichen, über sich selbst zu lernen. Die kommunikative Abstimmung dieser Lernprozesse nenne ich Organisationslernen.

Lernende Organisation

Diese Bezeichnung wiederum ist nicht nur ein Wortspiel (in der Umdrehung von Organisationslernen), sondern der Begriff weist auf Handlungspotential und Wissensbasis einer Organisation hin, die unabhängig von einzelnen Akteuren besteht. Wird die Wissensbasis kontinuierlich weiterentwickelt, und deren ständige Weiterentwicklung durch alle Mitarbeiter ist in den Organisationsstrukturen verankert, handelt es sich um eine lernende Organisation.

Bildung

Unter Bildung verstehe ich einen dauernden Wert, ebenso Ergebnis des Lernens und Auftrag zum Lernen. Es geht um die Erschließung von Welt durch die mündige Persönlichkeit. Damit ist gemeint, dass der gebildete Mensch sein innerstes Erleben (Subjektivität) und die äußeren Welten des Sozialen (Normen und Regeln) und des Objekthaften (materiellen) gleichermaßen reflektieren kann. Man kann dieses Weltbild auch als dezentriert bezeichnen, weil keine der drei Welten das alleinige Zentrum darstellt. Demgemäß handelt es sich um die Ausprägung von Selbst-, Sozial- und Sachkompetenz. Von der Kompetenz als Persönlichkeitsmerkmal ist die Qualifikation zu unterscheiden, die auf die Verwertbarkeit von Fähigkeiten abzielt.

Bildung kann sich sowohl auf das inhaltliche als auch auf das methodische Wissen beziehen. Die Kategorien sind materiale Bildung, bezogen auf aktuelle / klassische Sachverhalte, und formale Bildung, in der es um die Kräfte und Möglichkeiten des Subjekts geht, d.h. das Lernen, zu lernen und seine instrumentellen Fähigkeiten. Bildung bedeutet aber noch mehr, zu betonen sind:

Betriebliche Bildung

Die betriebliche Bildung umfasst sowohl organisationelle als auch wertbezogene Aspekte. Es handelt sich einerseits um eine betriebliche Einheit, institutionell mehr oder weniger abgegrenzt, die sich mit Fragen von Aus- und Weiterbildung befasst. Es kann eine Abteilung innerhalb des Betriebes sein oder ein organisatorisch selbständiges, evtl. auch räumlich ausgelagertes Bildungszentrum. Selbständige Bildungszentren können auch überbetriebliche Funktion haben und durch ihre Trägerschaft bzw. Anbindung an den Betrieb lassen sie sich von den staatlichen beruflichen Schulen bzw. den Fachschulen abgrenzen. Die Bezeichnung betriebliche Bildung trägt auch die Bedeutung in sich, Bildung im Medium der betrieblichen Arbeit oder im Zusammenhang damit zu ermöglichen.

2. Veränderungen in der Arbeitsorganisation und entsprechende Veränderungen des Lernens

Da sich das Organisationslernen letztendlich auf das Arbeitshandeln bezieht, möchte ich die folgenden einzelnen Arbeitsaktivitäten hier differenzieren:

Heutige Formen der Arbeitsorganisation in Unternehmen lassen sich danach unterscheiden, inwieweit sie diese Elemente als Ganzheit umfassen oder von verschiedenen Abteilungen / Hierarchieebenen wahrgenommen werden. Zunächst setzte sich in der industriellen Massenproduktion die tayloristische Arbeitsorganisation als Form wissenschaftlicher Betriebsführung durch. Diese war gekennzeichnet durch starke Arbeitsteilung; das notwendige Wissen gehörte Spezialisten. Der betrieblich-hierarchische Aufbau bestand in der Linien- bzw. Stab-Linien-Organisation. Diese Organisationsform wird teilweise noch heute praktiziert und lässt sich als neo-tayloristisch bezeichnen.  Andererseits werden die Kundenansprüche immer individueller, und die Forderung nach Humanisierung der Arbeit stärker, sodass post-tayloristische Arbeitsformen entwickelt werden: Diese sind durch das Niederbrechen hierarchischer Strukturen gekennzeichnet, und durch ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt. Ganze Hierarchieebenen fallen weg (Stichwort "lean production"), Gruppenarbeit und Selbstorganisation sind Kennzeichen. Der Organisationsaufbau des Unternehmens wird eher modulförmig.

Weil die tayloristische Arbeitsorganisation dem Facharbeiter genaue Vorgaben für jeden Arbeitsschritt macht, vollzieht sich dessen Lernen (z.B. im Falle der selbständigen Behebung von Störungen) quasi gegen die Vorschriften. Sein Arbeitsprozess-Wissen wird offiziell nicht zur Kenntnis genommen. Demgegenüber baut die post-tayloristische Form auf der Verantwortung des Mitarbeiters bzw. seiner Arbeitsgruppe auf und verlangt explizit kontinuierliches Lernen.

In der tayloristischen Arbeitsorganisation ist das entscheidende Wissen beim Management bzw. bestimmten Fachabteilungen zentralisiert. Eine solche Organisation kann demgemäß nicht als lernende Organisation angesehen werden. In einer lernenden Organisation hingegen wird vom Facharbeiter erwartet, dass er selbst Widersprüche / Störungen im Arbeitsablauf erkennt, und sich  diesbezügliche Ziele setzt; das Einholen alternativer Informationen und das Lösen der  Widersprüche gehört dazu. Nicht nur in  "Poren" (wie z.B. Pausen) des Arbeitsprozesses muss Gelegenheit bestehen, dies alles subjektiv zu verarbeiten.

3. Kennzeichen des Organisationslernens

An dieser Stelle setzt Organisationslernen an. Seitdem der Begriff von Popper geprägt wurde, ist er in sehr unterschiedlicher Weise interpretiert worden. Es ist eine Ideengeschichte, für deren ausführliche Darlegung hier kein Raum ist. Nur soviel: Nach Duncan/Weiss besteht die Grundlage in der Veränderung und Neuproduktion der organisationalen Wissensbasis. March/Olsen sehen sie in der rationalen Kalkulation bei unvollständigen Informationen, Hedberg in der Entwicklung einer Handlungstheorie einschließlich der Ausprägung von Mythen, Argyris/Schön in der Entwicklung einer Alltagstheorie, während Schein besonders auf der Herausbildung einer Organisationskultur einschließlich ihrer Vorannahmen abhebt. Quintessenz: Es geht beim Organisationslernen um einen geteilten Wissensbestand, der sowohl auf den verfügbaren Ziel-Mittel-Zusammenhängen gegründet ist, als auch den Glauben an die Sinnhaftigkeit der Handlungsregeln umfasst. Wo dies nicht ausreicht, die Informationen unzureichend sind, füllen Mythen diese Lücken. H. Geißler hat auf dieser Basis eine Systematik des Organisationslernens erarbeitet, auf die ich mich im Wesentlichen beziehe.

Lernaktivitäten

Die oben aufgeführten Arbeitsaktivitäten bilden die Grundlage des Lernens des Individuums, als Grundlage des Organisationslernens. Die entsprechenden Lernaktivitäten sind zum einen auf materielle Objekte, Kooperationspartner, oder das subjektive Erleben im Umgang mit Arbeitsobjekten gerichtet, zum anderen auf sich selbst als Objekt, oder die eigene Selbstvergewisserung. Die Lernaktivitäten werden unter einem gewissen Druck ausgelöst, sie dienen der Qualitätssicherung und -verbesserung des Arbeitens, d.h.

Zusammenfassend kann Lernen auf dieser Ebene auch single-loop-learning genannt werden.

Lernen zu lernen und Selbsterziehungsaktivitäten

Auf der nächsten Ebene geht es um die Reflexion des Lernens. Wiederum:

Das Lernen, zu lernen kann man auch double-loop-learning nennen,  das Selbsterziehungslernen gehört zum deutero-learning (n. Bateson). Im zweischlaufigen Lernen wird der Lernprozess reflektiert, und der Sinn des Lernens zu lernen im deutero-learning.  Arbeiten, lernen, und lernen zu lernen / Selbsterziehungslernen sind spiralig aufgebaut und verweisen wechselseitig aufeinander. Für Lernprozesse benötigt man Arbeiten als Medium, d.h. der Arbeitsrhythmus muss sich zeitweise nach dem Lernen richten. Ggf. muss der Arbeitsplatz verlassen werden, um den Arbeitsdruck abzumildern.

Nachdem ich die Lernprozesse des Einzelnen auf diese Weise umrissen habe, wende ich dieses Wissen auf die Organisation an. Auf Grund des bereits oben skizzierten Problems der doppelten Kontingenz müssen die verwendeten Kommunikationsregeln zur Anwendung kommen. Die jeweiligen Arbeits-, Lern- und Selbsterziehungs-Aktivitäten müssen kommunikativ aufeinander abgestimmt werden. In diesen Kommunikationskanälen reproduzieren sich die geltenden Regeln:

All diese Kommunikationssysteme bzw.  Kanäle wiederum metakommunikativ zu überprüfen, macht dann das Organisationslernen aus. Hierfür muss ein geeigneter Rahmen geschaffen werden, wenn es um Grundsätzlichkeiten geht. Lediglich die Klärung von Details sozialer Regeln lassen sich direkt in den Arbeitsprozess bzw. dessen "Poren" integrieren.

Dieses Lernen kann sich nicht nur die Zusammenarbeit Einzelner in Dyaden / Triaden beziehen, sondern auch auf Arbeitsgruppen. Auch hier gelten soziale Regeln, die nicht durch die Gruppendynamik außer Kraft gesetzt werden können: die Bestimmungen des Arbeitsvertrages, die Strukturen der Aufbauorganisation, Regelungen der Ablauforganisation, das Belohnungs- und Bestrafungssystem sowie Regeln im Umgang mit Externen (z.B. Kunden, Patienten). Organisationslernen bringt all diese Regeln auf den Prüfstand. Ziel ist es, eine Organisationskultur aufzubauen, in der dies mit Hilfe von Verfahrensregeln möglich ist. Das diesbezügliche Ziel, innerhalb des Betriebes / Unternehmens das kommunikative Handeln (n. Habermas) zur Norm zu  machen, mag eine Vision bleiben, bildet aber meines Erachtens eine gute Richtschnur.

Zusammenfassung: Stufen des Organisationslernens

Das Arbeiten als im wesentlichen zweckbezogenes Handeln wird von jedem Einzelnen geleistet, der damit seine Umwelt bewusst oder unbewusst gestaltet. Es vollzieht sich innerhalb einer Organisationseinheit und lässt sich auf einer ersten Stufe dort thematisieren/reflektieren. Damit erfolgt bereits eine Meta-Kommunikation.

Auf der zweiten Stufe erfolgt das individuelle oder kollektive Lernen, und darüber hinaus das Selbsterziehungslernen. Dieses Lernen bzw. dessen Regeln können wiederum metakommunikativ in der Organisationseinheit thematisiert und aufeinander abgestimmt werden.

Auf der dritten Stufe entwickelt sich daraus ein Identitätslernen, das im den wesentlichen Bestandteil der Organisationskultur ausmacht. Es sollte ebenso metakommunikativ reflektiert werden die die anderen Lern- und Arbeitsebenen.

4. Betriebliche Bildung im lernenden Unternehmen

Das Organisationslernen in der oben beschriebenen Art entwickelt sich nicht von allein. Neben der Rolle des Unternehmens-Managements kommt dem betrieblichen Bildungswesen eine wichtige Rolle in diesem Prozess zu. Hier kann es seine Stärke beweisen, indem es sein pädagogisches Know-how  in die betriebs-/personalwirtschaftlichen Überlegungen der Unternehmensführung einbringt. Wie oben gezeigt, stehen Arbeiten und Lernen in einem engen Zusammenhang. Die betriebliche Bildung ist ebenso wie die Arbeitsorganisation seit einigen Jahren in Bewegung gekommen, daher sollte sie die Stationen ihres Weges reflektieren.

Erste Phase: Fachliche Qualifizierung

In der Zeit überwiegend tayloristischer Arbeitsorganisation stand die Anpassung der Mitarbeiter an die Anforderungen der Technik im Vordergrund. Ein Teil der Mitarbeiter musste zwecks Spezialisierung fachlich qualifiziert werden (z.B. als  Funktionsmeister), Technikorientierung war die 'Leitplanke' der Ausbildungsinhalte. Ein eigenständiger Bildungsanspruch war damit nicht verbunden, Weiterbildung hatte bestenfalls Feuerwehrfunktion, wenn Einflüsse / Störungen aus der Umwelt mit den bisherigen Mitteln nicht bewältigt werden konnten. Es mussten entsprechende Qualifikationsprogramme entworfen werden, um die Probleme im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien (z. B. CNC-Technik) lösen zu können. Für diese Phase betrieblicher Bildung ist das Bild 'Änderungsschneiderei' geprägt worden.

Zunehmend wurde jedoch bewusst, dass der Technikeinsatz lediglich ein Gestaltungsmittel für den Arbeitsprozess ist, und dessen subjektiven und sozialen Zusammenhänge nicht ausgeklammert werden können. Störungen in komplexen Arbeitsabläufen konnten mit den bisherigen Mitteln rein sachbezogenen Vorgehens allein nicht bewältigt werden. Die Mitarbeiter benötigten Bildung, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden! Das Berufskonzept in der Ausbildung erschwerte die Umsetzung dieses Vorhabens aus zwei Gründen: Zum einen benötigen Veränderungsprozesse im beruflichen Bildungssystem aufgrund des umfassenden Abstimmungsprozesses auf staatlicher- und Berufsverbands-/Gewerkschaftsebene mehrere Jahre, und obendrein ist die Systemzeit recht lang, d.h. zwischen der Veränderung in der Ausbildung und der Umsetzung vergehen wiederum mehrere Jahre. Bis dahin sind  Details der Veränderungen bereits wieder überholt. Für die Weiterbildung bestanden diesbezüglich bessere Möglichkeiten, sie konnte sich an der unmittelbar vor Ort wirkenden Organisationsentwicklung orientieren.

Zweite Phase: Orientierung an der Personal- und Organisationsentwicklung

In dieser Phase wurde das Konzept der Schlüsselqualifikationen populär, die als Brücke zwischen dem Erlernen einzelner Qualifikationen und dem Bildungskonzept fungieren. Die Persönlichkeitsentwicklung musste in den Vordergrund rücken, weil der Mensch nicht länger als Anhängsel der Maschine betrachtet werden konnte. Gestaltungsfähigkeit und Flexibilität im Entwicklungs- und Veränderungsprozess der Organisation war gefragt! Allerdings wurden deren letztendliche Normen und Werte nicht thematisiert. Die Akteure des betrieblichen Bildungswesens mussten sich jetzt entscheiden, ob sie ihre Rolle als Inhaltsexperten, Ärzte oder Helfer wahrnehmen wollten: Als Inhaltsexperten ginge es ihnen mehr um die fachlichen Aspekte, in der Arztrolle wären sie für Diagnose von Problemen und deren Lösung zuständig, und als Helfer würden sie die Betroffenen in ihrem Bemühen unterstützen, sich selbst und ihre Kooperationsbeziehungen zu erneuern.  In jedem Fall geht es um die Definition einer Beraterrolle, auf der Ebene der Individuen, Dyaden, Triaden, Gruppen/Teams, oder deren Beziehungen, oder um die ganze Organisation. Als betriebliche Bildungsexperten sind sie weniger in einer Lehrerrolle, sondern sind Agenten der Veränderung. Sie verknüpfen das Feld der Gesamtorganisation mit pädagogischen Prozessen, konzipieren neue Strukturen (z.B. Aufstiegsmöglichkeiten), ohne den Einzelnen dabei aus dem Blick zu verlieren. In dieser Entwicklungsphase kann die betriebliche Bildung auch Strategieschmiede genannt werden, weil sie dazu beiträgt, neue Strukturen zur Bewältigung von Umwelteinflüssen und zur Erreichung des Betriebsziels zu erarbeiten.

Dritte Phase: Identitätslernen

Die Wirkung der Organisationsentwicklung kann jedoch auf Dauer verpuffen, wenn nicht die ganze Organisation beginnt, zu lernen. Die betriebliche Bildung muss daher dazu beitragen, dass das Lernen auch unabhängig von einzelnen Personen weitergeht, und dass die Wissensbasis der Organisation unabhängig von den einzelnen Organisationsmitgliedern gespeichert und weiterentwickelt wird. Systemisch gedacht, lernt die Organisation mit Hilfe ihrer Mitarbeiter. Dadurch wird sie fähig, Umweltveränderungen und deren Einwirkung auf die Alltagstheorien der Mitarbeiter zu reflektieren. Dadurch erweitern sich die gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten, und es entwickelt sich eine gemeinsame Identität der Organisation. Das betriebliche Bildungswesen trägt entscheidend dazu bei, indem es zu einer Art Kulturwerkstatt wird. Auch mögliche Tabufragen, wie z.B. innerbetriebliche Einkommensverteilung, Aufstiegsmöglichkeiten, müssen hier angesprochen werden können. Es wird zu einem Bereich, in dem über letztendliche Sinnfragen des Arbeitens und dessen Zielsetzung, das Lernen zu lernen und das Selbsterziehungslernen nachgedacht werden kann und neue, gemeinsame Vorstellungen dazu erarbeitet und überprüft werden können.

Fazit und Ausblick

Diese Entwicklungsphasen des betrieblichen Lernens und entsprechend des Bildungswesens bauen aufeinander auf. Sie bleiben aufeinander verwiesen, dadurch wird die Qualität der Arbeit gesichert und fortentwickelt. Nur wenn alle Mitarbeiter ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln und einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, werden sie motiviert arbeiten, und das Unternehmen wird langfristig überleben. Betriebliche Bildung sollte den Blick auf das Ganze dem gemäß zu ihrer Aufgabe machen. Es geht dabei um das Arrangement des Lernsubjekts in einer entsprechenden Lernumgebung und außerdidaktischen Umgebung.  Dazu gehören auch die Gestaltung des räumlichen Umfelds, eigene Zuwendung und Ermutigung.

Dazu ein Beispiel: In einem Automobilwerk findet die betriebliche Bildung ihre Rolle als Katalysator eines Didaktik-Systems,  das sich auf den ganzen Betrieb als Lernsystem bezieht. Aufgrund von Schwierigkeiten nach Einführung einer neuen Technologie musste das Schulungskonzept neu gestaltet werden. Organisationslernen bedeutete hier, dass die Lernenden im Betrieb durch Erfahrungslernen und Schulung befähigt wurden, selbst Lernprogramme zu entwickeln und durchzuführen. In einer organisationsdidaktischen Kaskade wurden Linienfachleute zu Multiplikatoren weitergebildet. Die dabei auftretenden Probleme mussten zunächst durch die betriebliche Bildungsabteilung moderiert und durch eine entsprechende Organisationsform aufgefangen werden, die auch die Linienmanager und systemeinführende Abteilungen mit einbezog.

Mit diesem auf andere Betriebe übertragbaren Beispiel möchte ich abschließend deutlich machen, dass Organisationslernen eine zündende Idee ist, die das betriebliche Bildungswesen zu neuen Ansätzen beflügeln kann.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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